Georg von Oertzen                Federzeichnungen eines Reisenden

 

 

Nordische Bilder

 

I.

 

Gegrüßt mir sei, gastfreie Stadt am Sunde,

Thorwaldsens Heimath, Wittib großer Ehren!

Du rufst und meiner Sehnsucht Wimpel kehren

Den Curs dir zu. ´s ist Sommermorgenstunde:

 

Jetzt völkerwanderst Du zum Buchengrunde

Gen Dyrehaven, ja nicht zu entbehren

Wettzfahrt, Gesang, Frühstückspapier-Entleeren,

Weithin den Strandweg flattert davon Kunde.

 

Schön ist die Straße, deine Kraft pulsiret

Hier froh behaglich durch Villeggiaturen

Mit Bild und Spruch und Namen ausgezieret.

 

Und drinnen schwörst du, was die Väter schwuren,

Mit selgem Blick, der sich auf’s Meer verlieret:

Dies Land, wie keins, trägt Paradiesesspuren.

 

 

II.

 

Wohl bist du lieblich, Seeland, wenn vom Thaue

Des Junimorgens deine Wälder blitzen,

In Wahrheit Dome, küssend mit den Spitzen

Die Ätherhöhn. Zu Füßen ihrem Baue

 

Hinspült dein Meer, das sonnentrunkne, blaue,

Der Moose Weichheit schwillt zu Liebessitzen,

Die Tauben girren und durch Blätteritzen

Fromm äugt das Hochwild: „Seht, wie ich vertraue.“

 

Und wenn nun manchmal fernher wie verloren

Ein Säuseln geht im Odemzug der Brise,

Die durstig ward vom Wellenschooß geboren,

 

Und wenn ein Segel, kaum berührt durch diese,

Zum Nachen lockt aus grünumflochtnen Thoren:

Wo leuchtet Pracht, die mehr zu Gott uns wiese?

 

 

III.

 

Umdacht vom Lindengrün der Citadelle,

Vom Traumesblick der Meerfluth angeschmachtet,

In Staunen sinkt der Pilger und betrachtet

Den Hafen hier und dort die leuchtend helle

 

Stadt der Paläste, über deren Schwelle,

Stolberg und Schiller, Ihr den Freunden brachtet

Heimische Dichtkunst, während, eh es nachtet,

Im Stahlschuh Klopstock flog zur Musenquelle.

 

Ja, Königin der Inseln, du erlabest

Den Fremdling willig, dein sind Perlen, echte,

Dich schmückend von Geschlechte zu Geschlechte.

 

Doch ob du Geist, ob Glanz, ob Güte habest,

Dennoch wir zürnen, weil du nimmer gabest

In deiner Brust Herberg dem deutschen Rechte.

 

 

IV.

 

Der scharfe Nordost singt den Edeltannen

Sein schneeverkündend Winterlied, sie wiegen

Ihr Haupt vor ihm. Die wilden Schwäne fliegen

Im Äther mit klangvollem Flügelspannen;

 

Roth glüht das Schloß im Frühlicht. Schon begannen

Die Rüden kratzend sich an’s Pfühl zu schmiegen,

Drin wehmutsvoll Dianas Jünger liegen,

Gefesselt noch von Bildern, die zerrannen.

 

Der Jüngste träumt von einer Fuchsdoublette,

Die ihm gwelungen sei am Waldessaume,

Und jählings treibt der Schuß ihn aus dem Bette:

 

Zu spät! Dort schleicht er aus dem Frühstücksraume,

Hungrig und sinnend, was vom Spott ihn rette?

Freund Reineke betrog ihn selbst im Traume.

 

 

V.

 

Die Jagd ist aus. Zur Strecke ziehn die Gruppen

In’s hohe Laubdach dunkelgrüner Kiefern,

Und Jeder fragt, was andre Schützen liefern

Und wer sich heut als Meister wird entpuppen?

 

Ihn freut beim Mahl die Herzstärkung der Suppen;

Von Witzen frei, den kecken Ungeziefern,

Labt ihn Madera, ihn der Geist des tiefern

Schaumperlenzuges und der Neid der Juppen.

 

Und spät am Abend, zwischen Licht und Dünsten

Die Seele theilen, fröhnt er Rednerkünsten,

Darob die Damen lächeln und erbleichen.

 

Doch graue Herrn, die auf ihn Blicke münzten,

Ihm flüstern zu, indem den Bart sie streichen:

„Auch auf dem Anstand bist Du ohne Gleichen.“

 

 

VI.

                       

Die Sternnacht blitzet. Kalt die Strahlen tauchen

Bis auf den Grund der dunklen tiefen Wogen,

Vermählt dem Spiegelbild der Fensterbogen,

Dran pfeifend her des Nordwinds Grüße hauchen.

 

Nimrod ward müde, Fuchs und Hochwild brauchen

Nicht Schutz noch Trutz, der Feind ist abgezogen.

- Da sprüht es roth! Da branden Flammenwogen

Rings um die Burg und ihre Trümmer rauchen.

 

Hinbricht der Stolz von Dänemark, die Mauer

Kaum blieb von Christians Prachtcolosse,

Drum weinend steht ein ganzes Volk in Trauer.

 

Und schon in Glücksburg wiehern schwarze Rosse,

Durch seine Hallen geht ein Todesschauer:

Deutschland erwacht und horcht nach jenem Schlosse.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Im Spreewald

 

Ein Wald ergrünt hochstämmig, vielverschlungen

Aus halbverblaßten Bildern mir in’s Leben:

Auf stille Fluth und Wasserrosen geben

Die breiten Wipfel ewge Dämmerungen.

 

Vor Blockhausdörfern flachsbehaarte Jungen

In Tonnen spielend auf und nieder schweben,

Und wie ein Pfeil zum Markt hin Böte streben,

Von schlanker Dirnen Ruderkraft bezwungen.

 

Die Sprache fremd, gekleidet gleich der Sylphe,

Die heimlich lockt in Mondnachtabenteuer,

Auftauchen und verschwinden sie im Schilfe.

 

So, Spreewald, blyhst du; nur bleibt nicht geheuer,

Ob deine Pracht der Muse kam zu Hilfe,

Ob zweier Augen blitzend Schelmenfeuer.

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Im Nachen

 

Im gelben Spätlicht zwischen Strom und Bergen

Auf waldumrauschten Kegel glühn die Mauern

Der alten Burg; die Eppichranken schauern

Ein Sterbelied an diesen offnen Särgen,

 

Dem Riesengrab, verhöhnt von eitlen Zwergen,

Die vornehm jene plumpe Welt bedauern.

Wir aber heimlich lieben sie und lauern

Stumm dem Bericht des sylbengeizgen Fergen.

 

Ihm sagt’s Frau Pathe, deren Ururahne

Den letzten Ritter sah zum Thor ausreiten

Und dann zur Gruft zwei bleiche Capellane

 

Des letzten Burgherrn letztes Kind geleiten.

- Stromab uns treibt der Ruderschlag im Kahne,

Stromauf der Geist in stillgewordne Zeiten.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                In der verlassenen Burg

 

I.

 

Vorbei dem schweren Damast der Gardinen

In’s Fenster schaut die Sommervesperstunde:

Am Nußbaumschrank im tiefen Hintergrunde

Die Löwenköpfe, glänzend warm beschienen,

 

Verzerrn ihr Maus, indessen über ihnen

Die dunklen Bilder flüstern manche Kunde

Vom Hof des Kaisers, die wir aus dem Munde

Großmütterleins, aus den verschmitzten Mienen

 

Des silberlockgen Pförtners kaum erfahren.

Hier liegt ein Ringlein, wem von wem gegeben?

Hier eine Spieluhr, dort aus seidnen Haaren

 

Ein Blumenkranz. Die Sonnenstäubchen weben

Vergessenheit darüber hin seit Jahren,

Heut diesem hier und künftig unserm Leben.

 

 

II.

 

Lichtgrünes Dunkel überwölkt den Rasen,

Der Park ist lautlos. Müde Statuetten

Ihr morsches Haupt in’s tiefe Gras herbetten,

Und Schlingkraut klettert üppig um die Vasen.

 

Fort die Bewohner, hin die Adlernasen,

Die Pfauenpracht der schelmischen Coquetten,

Die, spinnend ihrer süßen Anmuth Ketten,

Romane lebten, nicht Romane lasen.

 

Jetzt in der Spur der rothen Absatzschuhe

Zurück zu ihren Tagen geht ein echter

Sohn heutger Zeit, der aus des Todes Truhe

 

Sich Leben schöpfet, unsres Tags Verächter.

Die Wipfel ob ihm halten Mittagsruhe

Und zärtlich girrt der Turteltaub Gelächter.

 

 

III.

 

Und wo die Äste dichter sich verschränken,

Wo Farrenkraut den überwachsnen Steig

Unsichtbar macht, dort mühsam durch’s Gezweig

Lockt Neugier uns die Schritte hinzulenken:

 

Zum Erbbegräbnis. Von den Ruhebänken

In’s Leere starrt kein Antlitz schmerzensbleich,

Zwiefach entseelt ward dieses Todtenreich,

Denn ob den Leibern starb ihr Angedenken,

 

Und düster weht der Schwermuth Moderduft.

- Da knarrt ein Pfortlein, und wie Rosenprangen,

Wie Bienensummen, plötzlich an die Gruft

 

Hold plaudernd kommt das Leben hergegangen:

Ein Liebespaar sich neckt, sich küßt, sich ruft,

Und über Freuden Trauerweiden hangen.

 

 

 

Georg von Oertzen                Sonnenuntergang

 

Weil nun der Tag im Donnergroll gestorben,

Die Sonnenwittib zündet ihre Scheiter,

Und neiget auf den kalten blassen Streiter

Ihr schönes Angesicht, bis gluthumworben

 

Ihr wallend Haar im Feuermeer verdorben.

Dann rückwärts tretend auf die goldne Leiter,

Mit Lächeln sinket und versinkt sie heiter,

Der Nachtwind rührt ihr klagende Theorben.

 

Im dunkeln Strom die Fluthen weinen leise,

im Walde zittert es von Baum zu Baume,

Und, überthaut von Thränen, schläft die Waise,

 

Die Erde jetzt. Manchmal spricht sie im Traume

Vom Phönix, welcher schwebt zum Ätherkreise

Aus seines Nestes weichem Purpurflaume.

 

 

 

 

 

Georg von Oertzen                Wanderungen im Süden

 

I.

 

Umrauscht von Pinienfinsternis, umflossen

Vom Mondessilber, klimmt zum Bergabhange

Hinan die Kutsche: Horch, mit gellem Klange

Zuruft der Schwager seinen müden Rossen;

 

Dann halten wir. Licht strömt aus Erdgeschossen,

Die heißen Gäule schütteln sich im Strange,

Die Fackeln tropfen und im Nachtgesange

Im Halbschlaf liegt das Meer dort hingegossen.

 

Wir sind in Terracina. Fröstelnd leise,

Gedenken wir der schönen Operntexte

Fra Diavolo’s und stimmen an die Weise.

 

Doch was geschieht? Inzwischen ach behexte

Sein Enkel uns die Köchin und die Speise,

- Und Hunger war’s, der dies Sonett Euch klexte.

 

 

II.

 

Vorwärts die Fahrt geht durch die braungesttreckten

Pontischen Sümpfe: Starre Wasser füllen

Mit Wolkenbildern sich, das dumpfe Brüllen

Der Büffel und des Reihers Kreischen weckten

 

Die Schlafenden, die sich mit Träumen neckten.

Am Horizont, den Morgen zu enthüllen,

Frau Eos lacht aus gelben Schleiertüllen:

Und im Südwest den Gipfel wir entdeckten,

 

Auf dessen Haupt gleich einer Turbanfeder

in klarster Luft des Rausches Säule schwanket:

Seht den Vesuv! und hier seht her: Aus jeder

 

Felsspalte hell in Purpurflammen ranket

Die Cactusblüthe. Rollet jetzt, ihr Räder,

Gen Napoli, nach dem die Sehnsucht kranket!

 

 

III.

 

Wir sind am Ziel: Im brausenden Geschwirre,

Das ebbt und schwillt von Priestern, Mönchen, Laien,

Von Obstverkäufern und von langen Reihen

Demüthger Karrn und goldner Prachtgeschirre.

 

Oft stockt die Fahrt, ob sich das Knäuel entwirre,

Dann stürmt sie vorwärts: Gelbe Weiber schreien,

Der Fuhrmann schimpft sie – und wir sind im Freien,

Am offnen Platz, drauf Tambouringeklirre

 

Den Saltarello unermüdlich reizet.

Dort vor dem Thor des „Gasthofs ersten Ranges“

Der Pförtner sich in bunter Kleidung spreizet:

 

Die Marmortreppen unhörbaren Ganges

Betreten wir, und jetzt kein Reichthum geizet

Der Table d’hote, des Schlafs und des Gesanges.

 

 

IV.

 

Das Zwielicht eilt. Vesuv, dein Auge düster

Die Nacht durchblitzt, die über dich gesunken;

Bald löscht es aus, bald mahnen seine Fuinken

An Kinderspiele, wenn im Scheit der nüster

 

Das Glimmen stirbt. Sie sagen dann „der Küster

Geht aus der Kirche.“ Strömend niedertunken

Die Lavagluthen und sind aufgetrunken

Vom Felsgeröll mit zischendem Geflüster.

 

Wir ritten aufwärts, seit das Licht der Sonnen

In violettem Purpur ging zur Ruhe;

Am Thor des Klosters spendeten die Nonnen

 

Lacrimae Christi, dann auf starkem Schuhe

Zum Krater ging’s. Vulcan, aus deinem Bronnen

Kredenzt der Tod, du nicht Bescheid uns thue.

 

 

V.

 

Der Pilger aus linder Mondnachtkühle

Plötzlich gebannt in Einsamkeit und Schrecken:

Sein Traum des Fieber, seine Wohnung – Decken,

Sein Lebenshauch – der Krankheit Seufzerschwüle.

 

Die Hand, die zitternd bleiche, rupft am Pfühle,

Das Auge stiert in’s glühe Kohlenbecken,

Und Gegenwart, Zukunft, Vergangnes necken

Rasch wechselnd ihn in höhnischem Gewühle.

 

So blaßt die Zeit hin. Kämpfer ihm zu Häupten

Sind Tod und Heimweh, wer sein Engel würde?

Und die Genesung, über den Betäubten

 

Ihr Antlitz neigend, trägt zu Schiff die Bürde.

Bald her um ihn des Radschaums Tropfen stäubten:

Er war gerettet, wie vom Wolf die Hürde.

 

 

VI.

 

Die Thür steht offen, schwere Düfte fließen

Vom Garten zum Kamine, leise schwirren

Guitarrenklänge, die ein Mädchen kirren,

Und Lichtes voll, Dianas Schalen gießen

 

Die Sehnsucht her zu ruhn und zu genießen.

Die blaue Meerfluth schlummert; manchmal klirren

Die Anker, die im Lufthauch sich verwirren,

Und still und schön des Traumes Lilien sprießen.

 

in solchem Glanz war einst mir aufgegangen

Der Weihnachtstag, an unserm Baume glühten

Goldfrucht und Licht in buntvermischtem Prangen.

 

Heut rings um mich Decembernebel brüten,

Drum fragest Du, was stillt mein Heimverlangen?

Dein Herz, mein Kind, und Deines Kusses Blüthen.